All diesen Standardisierungsversuchen blieb der Durchbruch verwehrt.
Erfolg hatte dagegen ein Projekt, gestartet Anfang der 80er-Jahre
am MIT von
Richard Matthew Stallman, dem "letzten Hacker der Altvorderenzeit",
das GNU-Projekt: GNU's Not UNIX. Sein Ziel war es, von Grund auf ein neues,
UNIX-ähnliches Betriebssystem zu schreiben, das frei verfügbar sein sollte.
Durch seinen intensiven Einsatz und Beiträge
anderer Programmierer entstand bis Ende der 90er eine beachtliche und
leistungsstarke Sammlung an UNIX-Werkzeugen. Auch wenn das System bislang nicht
vollständig ist, konnten sich die GNU-Werkzeuge dennoch auf vielen UNIX-Varianten
etablieren, unter anderem auch deshalb, da einzelne
UNIX-Anbieter ihre Einnahmequellen noch etwas auszubauen gedachten.
Mit dem Grundpaket wurde z. B. kein C-Compiler mitgeliefert, worauf viele
Systembetreuer, um Geld zu sparen, auf Stallmans GNU C-Compiler
zurückgriffen, der ohnehin qualitativ besser war. So wurden die GNU-Werkzeuge
ein systemübergreifender Quasi-Standard.
Die freie Entwicklungsmethode hatte erreicht, woran die proprietären
Standardisierungsversuche bislang gescheitert waren.
Bemerkenswert: Als Stallman den Entschluss fasste, GNU zu starten,
hatte er noch nie mit UNIX gearbeitet, geschweige denn eine Zeile
C-Code programmiert. Alles, was er wusste, waren ein paar grundlegende
Konzepte und die Tatsache, dass UNIX seine Plattformunabhängigkeit
bereits unter Beweis gestellt hatte.
Auch von akademischer Seite wurde der immer zugeknöpfteren Haltung
der UNIX-Vertreiber begegnet: Zu Anfang wurde der Quellcode von AT&T
den Universitäten offen zur Verfügung gestellt und so vielerorts
als Tutorial für die Arbeitsweise eines Betriebssystems verwendet.
Als AT&T den Quellcode unter Verschluss brachte, fiel diese Möglichkeit
weg. Andrew S. Tanenbaum, Informatik-Professor an der Freien Universität
Amsterdam, entschloss sich daher, für seine Studenten eine eigene
Version von UNIX zu schreiben, die nichts mit dem urheberrechtlich
geschützten Code von AT&T zu tun hatte. Nach zwei Jahren harter Arbeit
brachte er sein System unter dem Namen Minix heraus. Es war weniger
für die praktische Arbeit, sondern in erster Linie als Lehrobjekt gedacht.
Dennoch wurde es von sehr vielen Studenten auch praktisch auf dem
heimischen PC eingesetzt, da es im Gegensatz zu den kommerziellen
UNIX-Varianten für einen moderaten Preis zu haben war. Allerdings stieß Minix
in diesem Einsatzgebiet sehr schnell an seine Grenzen. Viele seiner
Anwender machten Tanenbaum Vorschläge und schickten Patches für
Erweiterungen und Verbesserungen. Tanenbaum allerdings war damit
sehr zurückhaltend. Da er Minix in erster Linie als Tutorial sah,
kam es ihm mehr auf eine knappe und klare Struktur als auf eine
möglichst umfassende Funktionalität an.
Ein Minix-Anwender mit Namen Linus Torvalds gab sich damit nicht
zufrieden. Das GNU-System war bis auf den Kernel vollständig,
aber das Release des GNU-Kernels mit Namen HURD schien noch auf sich
warten zu lassen. Um die zeitliche Lücke bis dahin zu füllen, begann er selbst
einen Kernel zu schreiben, der sehr rasch unter dem Namen Linux Verbreitung fand
und eine große Entwickler- und Benutzergemeinde zusammenbrachte.
Da die meisten Entwickler auf UNIX-Varianten arbeiteten, auf denen
die GNU-Werkzeuge liefen, lag es nahe, den Linux-Kernel so einzurichten, dass
er zusammen mit den GNU-Werkzeugen verwendet werden konnte: GNU/Linux.
Der Kernel HURD ist über "akademische" Anfänge bislang nicht
hinausgekommen, so dass das anfänglich als "Provisorium" gedachte
Linux sich an seiner Stelle etabliert hat.
Zur gleichen Zeit löste sich BSD aus seiner ursprünglichen
Abhängigkeit von AT&T: Eine Gruppe von BSD-Entwicklern ersetzte alle
Anweisungen im Quellcode, die noch von AT&T beigesteuert waren,
durch neue und erstritt in einem langwierigen Gerichtsverfahren
für BSD die Freiheit. Daraus gingen die Projekte FreeBSD, NetBSD
und OpenBSD hervor, die auch eine beachtliche Verbreitung gefunden
haben und manchmal als Linux-Vettern bezeichnet werden (und so
manche Linux-Distribution enthält das ein oder andere "Schmankerl"
aus einem der drei Projekte).
Seither hat sich Linux zu einem bedeutenden UNIX entwickelt:
Kommerzielle UNIX-Anbieter haben Marktanteile an Linux verloren und
mussten neue Strategien entwickeln. Nicht selten mündeten diese
Überlegungen in offener Unterstützung für Linux, dessen weitere
Verbreitung ohnehin nicht mehr zu verhindern war.
UNIX (insbesondere seine freien Versionen) ist heute auf dem Servermarkt
eine feste Größe. Ob ihm auch auf dem Desktop ein Durchbruch beschieden
sein wird, ist eine der spannendsten Fragen der Gegenwart.
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