Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand. Denn jedermann ist davon überzeugt, dass er genug davon habe. – René Descartes
3 Klassen und Objekte
3.1 Objektorientierte Programmierung 

In einem Buch über die Java-Programmierung müssen mehrere Teile vereinigt werden: die grundsätzliche Programmierung nach dem imperativen Prinzip für Funktionen und eine neue Grammatik für Java, dann die Objektorientierung und die Bibliotheken. Dieses Kapitel stellt das Paradigma der Objektorientierung in den Mittelpunkt und zeigt die Syntax, wie etwa in Java Vererbung realisiert wird. [Keine Sorge, alle vier Grundsäulen werden in den nächsten Kapiteln ausführlich beschrieben! ]
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3.1.1 Warum überhaupt OOP? 

Da Menschen die Welt in Objekten wahrnehmen, wird auch die Analyse von Systemen häufig schon objektorientiert modelliert. Doch mit prozeduralen Systemen, die lediglich Funktionen als Ausdrucksmittel haben, wird die Abbildung des objektorientierten Designs in eine Programmiersprache schwer, und es entsteht ein Bruch. Im Laufe der Zeit entwickeln sich Dokumentation und Implementierung auseinander; die Software ist dann schwer zu warten und zu erweitern.
Die in der Software abgebildeten Objekte haben drei wichtige Eigenschaften:
- Jedes Objekt hat eine Identität.
- Jedes Objekt hat einen Zustand.
- Jedes Objekt zeigt ein Verhalten.
Diese drei Eigenschaften haben wichtige Konsequenzen: zum einen, dass die Identität des Objekts zum Zeitpunkt des Lebens bis zum Tod bleibt und sich nicht ändern kann. Zum anderen werden die Daten und der Programmcode zur Manipulation dieser Daten als zusammengehörig behandelt. In prozeduralen Systemen finden sich oft Szenarien wie das folgende: Es gibt einen großen Speicherbereich, auf den alle Funktionen irgendwie zugreifen können. Bei den Objekten ist das anders, da sie logisch ihre eigenen Daten verwalten und die Manipulation überwachen.
In der objektorientierten Softwareentwicklung geht es also darum, objektorientiert zu modellieren und dann zu programmieren. Das Design nimmt dabei eine zentrale Stelle ein; große Systeme werden zerlegt und immer feiner beschrieben. Hier passt sehr gut die Aussage des französischen Schriftstellers François Duc de La Rochefoucauld (1613 – 1680): »Wer sich zu viel mit dem Kleinen abgibt, wird unfähig für Großes.«
3.1.2 Wiederverwertbarkeit 

Bei jedem neuen Projekt fällt auf, dass in früheren Projekten schon ähnliche Probleme gelöst werden mussten. Natürlich sollen bereits gelöste Probleme nicht neu implementiert, sondern sich wiederholende Teile bestmöglich in unterschiedlichen Kontexten wiederverwendet werden; das Ziel ist die bestmögliche Wiederverwendung von Komponenten.
Wiederverwertbarkeit von Programmteilen gibt es nicht erst in objektorientierten Programmiersprachen, objektorientierte Programmiersprachen erleichtern aber die Programmierung wiederverwendbarer Softwarekomponenten. So sind auch die vielen tausend Klassen der Bibliothek ein Beispiel dafür, dass sich Entwickler nicht ständig um die Umsetzung etwa von Datenstrukturen oder Pufferung von Datenströmen kümmern müssen.
Auch wenn Java eine objektorientierte Programmiersprache ist, muss das kein Garant für tolles Design und optimale Wiederverwertbarkeit sein. Eine objektorientierte Programmiersprache erleichtert objektorientiertes Programmieren, aber auch in einer einfachen Programmiersprache wie C lässt sich objektorientiert programmieren. In Java sind auch Programme möglich, die aus nur einer Klasse bestehen und dort 5000 Zeilen Programmcode mit statischen Methoden unterbringen. Bjarne Stroustrup (Schöpfer von C++, von seinen Freunden auch Stumpy genannt) sagte treffend über den Vergleich von C und C++: »C makes it easy to shoot yourself in the foot, C++ makes it harder, but when you do, it blows away your whole leg.« [... oder wie es Bertrand Meyer sagt: »Do not replace legacy software by lega-c++ software«. ]
Im Sinne unserer didaktischen Vorgehensweise wird dieses Kapitel zunächst einige Klassen der Standard-Bibliothek verwenden, zu Beginn die Punkte repräsentierende Klasse Point. In einem zweiten Schritt werden wir eigene Klassen programmieren. Anschließend kümmern wir uns um das Konzept der Modularität in Java, nämlich darum, wie Gruppen zusammenhängender Klassen gestaltet werden.